Eine Kurzreise zur Wiege der deutschen Nation

Von dieser „Wiege“ spricht man gerne in der Stadt Quedlinburg. Denn 919 wurde auf dem heutigen Stadtgebiet Herzog Heinrich von Sachsen die Königskrone angetragen.

Vielleicht kennen ja einige von euch dieses Lied (okay, ich gestehe, ich kannte es nicht):

1. Herr Heinrich saß am Vogelherd,
Recht froh und wohlgemut;
Aus tausend Perlen blinkt und blitzt
Der Morgenröte Glut.

2. In Wies und Feld, in Wald und Au,
Horch, welch ein süßer Schall!
Der Lerche Sang, der Wachtel Schlag,
Die süße Nachtigall!

3. Herr Heinrich schaut so fröhlich drein:
Wie schön ist heut die Welt!
Was gilt’s, heut gibt’s ’nen guten Fang!
Er schaut zum Himmelszelt.

4. Er lauscht und streicht sich von der Stirn
Das blondgelockte Haar…
Ei doch! was sprengt denn dort heran
Für eine Reiterschar?

5. Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt,
Es naht der Waffen Klang;
Daß Gott! die Herrn verderben mir
Den ganzen Vogelfang!

6. Ei nun! was gibt’s? Es hält der Troß
Vorm Herzog plötzlich an,
Herr Heinrich tritt hervor und spricht:
Wen sucht ihr Herrn? Sagt an!

7. Da schwenken sie die Fähnlein bunt
Und jauchzen: Unsern Herrn!
Hoch lebe Kaiser Heinrich, hoch!
Des Sachsenlandes Stern!

8. Sich neigend knien sie vor ihm hin
Und huldigen ihm still,
Und rufen, als er staunend fragt:
’s ist deutschen Reiches Will!

9. Da blickt Herr Heinrich tief bewegt
Hinauf zum Himmelszelt:
Du gabst mir einen guten Fang!
Herr Gott, wie dir’s gefällt!

Johann N. Vogl, 1835 (1802-1866)

Quedlinburg - Ebenjener Finkenherd
Quedlinburg – Das ist jener Vogel- bzw. eben Finkenherd

Zitat aus dem Wikipedia-Artikel zu Heinrich I.:

Lange Zeit galt Heinrich als erster „deutscher“ König im „deutschen Reich“. Erst in der modernen Forschung setzte sich die Auffassung durch, dass das Deutsche Reich nicht durch einen Akt, sondern in einem lange währenden Prozess entstanden ist. Gleichwohl wird Heinrich darin weiterhin eine entscheidende Rolle zugemessen.

Wir unternahmen diese Bildungsreise zu viert. Mit von der Partie waren Angela, Lis und Fritz. Nach längerer Suche hatte ich ein nettes Hotel in Halberstadt gefunden. Wir hätten lieber in Quedlinburg oder Wernigerode gewohnt, doch es hatte sich als schwierig herausgestellt, in diesen Orten für die Übernachtung von Freitag auf Samstag eine annehmbare Unterkunft zu finden.
Für alle drei Städte hatten wir eine private Stadtführung gebucht. Unter Hinweis darauf, dass Lehrer mit an Bord seien, hatte ich um eine/n besonders qualifizierte/n Führer/in gebeten. Vorsichtshalber hatte ich hinter diesen Hinweis ein Smiley gesetzt. 🙂
Und ich darf sagen: Es hat geklappt. Wir waren von der Qualität der Führungen begeistert. Aber wir erfuhren auch, dass es dem Führungs-Nachwuchs leider an Engagement mangele; den jungen Leuten käme es lediglich auf das Geldverdienen an.

Unsere Anreise führte uns nach Halberstadt. Halberstadt hatte das große Unglück, am 8. April 1945, also noch kurz vor Kriegsende, durch einen Bombenangriff zu 80 % zerstört zu werden. Und da in DDR-Zeiten auch die dort noch verbliebenen Fachwerkhäuser dem Verfall preisgegeben worden waren, gibt es praktisch keine Altstadt mehr.

Das Rathaus der Stadt könnte fast symbolisch für den Zustand der gesamten Stadt stehen. Es wurde um 1663 erbaut, 1945 zerstört und in den Jahren 2001 bis 2004 neu errichtet. Nur ein kleiner historischer Teil, die Ratslaube, konnte wieder in das Gebäude integriert werden. Am Rathaus steht nun auch wieder der Roland aus dem Jahr 1433.

Halberstadt - Rathaus
Halberstadt – Rathaus mit Roland und Ratslaube

Während der Führung sahen wir die verbliebenen großartigen Baudenkmäler: Vor allem natürlich den berühmten Dom St. Stephanus, dann die Martinikirche und die Liebfrauenkirche.

Halberstadt - Dom St. Stephanus
Halberstadt – Dom St. Stephanus
Halberstadt - Dom St. Stephanus
Halberstadt – Dom St. Stephanus
Halberstadt - Im Dom St. Stephanus
Halberstadt – Im Dom St. Stephanus
Halberstadt - Liebfrauenkirche
Halberstadt – Liebfrauenkirche

Wir wunderten uns etwas, dass wir während der Führung kein Altstadtzentrum gesehen hatten und suchten dieses anschließend auf eigene Faust. Auf unsere Frage an einen Passanten, wo denn hier die Altstadt sei, kam in einem fast entschuldigenden Ton die Antwort: „Tja, sie stehen eigentlich mittendrin“. Hmmmm. Armes Halberstadt. Und wir hatten uns vorher schon gewundert, dass hier so wenig Touristen unterwegs waren. Kein Wunder: Die meisten brauchen einfach ein schönes Ambiente, und das gibt es in Halberstadt leider kaum.

Halberstadt - Es gibt noch viel zu tun
Halberstadt – Es gibt noch viel zu tun

Ganz anders war das in unserem nächsten Ziel. Das war Quedlinburg. Diese Stadt war im 2. Weltkrieg unzerstört geblieben. Und dank einer rührigen Stadtverwaltung hatte sie auch diversen „Modernisierungsbestrebungen“ der DDR-Oberen getrotzt. Wohlverdient hat Quedlinburg so 1994 der Ort den Titel des Weltkulturerbes verliehen bekommen und zieht seitdem auch vermehrt Touristen aus aller Herren Länder an.

Doch auch hier gibt es noch einiges zu tun:

Quedllinburg - Eine der wenigen schmuddligen Ecken
Quedlinburg

Während unsere Führung durch Halberstadt mit einem gewissen trockenen Humor gewürzt wurde, zeichnete sich die 75-jährige Dame, die uns in Quedlinburg in Empfang nahm, durch ein fast enzyklopädisches Wissen aus. Sie versuchte, uns zu Experten auf dem Gebiet von deutscher Geschichte, Quedlinburger Stadtgeschichte und Fachwerkarchitektur auszubilden. Und das tat sie auf eine so unterhaltsame Weise, dass wir die zwei Stunden locker durchhielten. Angesetzt waren eigentlich nur 90 Minuten. Man sah deutlich, wie sehr auch ihr selbst diese Führung Spaß machte: Endlich mal keine „Mitläufer“, sondern echt Interessierte. Trotz ihres Alters hatten wir Schwierigkeiten, ihr zu folgen, wenn sie schnellen Schrittes zur nächsten Sehenswürdigkeit eilte.

Sie begann ihre Führung mit einem Besuch des altehrwürdigen Festsaals im Rathaus. Anhand der dort befindlichen Gemälde erzählte sie uns von der Geschichte Quedlinburgs und über die Bedeutung der Stadt für die Entstehung des deutschen Königs- und Kaiserreichs. Das war dann später für die Nazis das erste Reich. Das zweite entstand 1871 und das dritte, na, wir wissen ja ….

Quedlinburg - Das Rathaus
Quedlinburg – Das Rathaus
Quedlinburg - Im Rathaussaal, die Überreichung der Königskrone an den späteren Heinrich I.
Quedlinburg – Im Festsaal; die Überreichung der Königskrone an den späteren Heinrich I.

Wir erfuhren auch viel über die verschiedenen Fachwerkstile – ja, Fachwerk ist nicht gleich Fachwerk. Es ist schon irre, wie viel Unterschiede man erkennen kann, wie grundverschieden die Baustile sind, wenn denn durch eine kundige Führung der Blick für die Details geschärft wird.

Quedlinburg
Quedlinburg
Quedlinburg
Quedlinburg

Und wenn wir nicht so sichtbar interessiert gewesen wären, hätten wir wohl auch nicht die höchst interessante Wipertikirche gesehen. Die ist nämlich in einer gewissen Entfernung vom Ort und war zu dieser Tageszeit geschlossen. Unsere Führerin hatte sich extra den Schlüssel besorgt. Die Wipertikirche stellte sich als eins der Highlights unseres Besuchs in Quedlinburg heraus. Ah, ich liebe diese romanischen Kirchen in all ihrer Einfachheit.

An der Wipertikirche
Quedlinburg – An der Wipertikirche
Wipertikirche - Kirchenschiff
Quedlinburg – Wipertikirche – Kirchenschiff
Wipertikirche - Krypta
Quedlinburg – Wipertikirche – Krypta

Romanisch ist auch die Stiftskirche St. Servatius  auf dem Schlossberg. In deren Krypta befinden sich die Gräber von Heinrich I. und seiner Gemahlin Mathilde. Noch so ein Höhepunkt.

Quedlinburg - Der Schlossberg mit den Türmen der Stiftskirche
Quedlinburg – Der Schlossberg mit den Türmen der Stiftskirche St. Servatius
Quedlinburg - Die Stiftskirche St. Servatius
Quedlinburg – Die Stiftskirche St. Servatius

Nach all diesen Sehenswürdigkeiten waren wir doch ziemlich erschöpft. Nach einem guten Essen im Restaurant Schlosskrug auf dem Schlossberg (ein Tipp unserer Führerin) und später noch einem Glas Weißwein mit Blick auf den schönen Marktplatz von Quedlinburg verabschiedeten wir uns von der Stadt und dämmerten in unserem Hotel in Halberstadt dem nächsten Tag entgegen.

Quedlinburg - Marktplatz
Quedlinburg – Marktplatz mit dem Denkmal für die Münzenberger Musikanten

Der führte uns nach Wernigerode, der „bunten Stadt am Harz“ (den Spruch hat Herman Löns geprägt). Auch Wernigerode war im 2. Weltkrieg weitgehend unzerstört geblieben, und es war – so erfuhren wir von unserem kundigen Führer, auch er an die 8o Jahre alt – schon zu DDR-Zeiten ein beliebtes Urlaubsziel gewesen. So gab es dort unter anderem einige Erholungseinrichtungen des FDGB.
Wie Quedlinburg ist auch Wernigerode geprägt von vielen Fachwerkhäusern. Das Rathaus gilt als eines der schönsten in Deutschland; sein heutiges Aussehen erhielt es in den Jahren 1539 – 1544.

Wernigerode - Rathaus
Wernigerode – Rathaus
Wernigerode - Marktplatz
Wernigerode – Der Wohltäterbrunnen auf dem Marktplatz
Wernigerode - Marktplatz
Wernigerode – Marktplatz
Wernigerode - Oberpfarrkirchhof
Wernigerode – Oberpfarrkirchhof
Wernigerode - Blick auf das Schloss
Wernigerode – Blick auf das Schloss

Wie auch schon in Quedlinburg machte unserem Führer die Sache genauso viel Spaß wie uns. Und so zeigte er uns etwas, was den allermeisten Führungen vorenthalten bleibt: Einen Hinterhof mit Garten. Wenn man so durch die Straßen geht, ahnt man ja gar nicht, dass sich hinter dieser oder jener Fassade noch ein Kleinod verbirgt. Unser Führer ist mit einem in Wernigerode sehr aktivem Buchhändler befreundet und er zeigte uns den schön gestalteten Hinterhof und den Garten. Dort hat dieser sehr am heimischen Brauchtum interessierte Herr diverse Gegenstände aus der Gegend aufbewahrt oder in seine Gebäude eingebaut.

Wernigerode - Im Hinterhof von Jüttners Buchhandlung
Wernigerode – Im Hinterhof von Jüttners Buchhandlung

Im Anschluss an die Führung durch Wernigerode kam es zu einem weiteren Höhepunkt unseres Trips, und zwar zu einem sehr geschmackvollen. Lis und Fritz luden uns zu einer kulinarischen Reise durch Japan und Vietnam ins Restaurant Orchidea Huong ein.
Nach einem Gläschen Pflaumenwein und dem Gruß aus der Küche gab es ein Menü mit sechs Gängen. Es hat so gut geschmeckt wie es aussieht.

Gruß aus der Küche
Gruß aus der Küche
Das 6-Gang-Menü
Das 6-Gang-Menü
1. Gang
1. Gang
2. Gang
2. Gang
3. Gang
3. Gang
4. Gang
4. Gang
5. Gang
5. Gang
6. Gang
6. Gang

Und dann ging es nach einem Besuch der Krellschen Schmiede zurück ins Frankenland.

Wernigerode - Krellsche Schmiede
Wernigerode – Krellsche Schmiede